Die Stilfragen der Ampel
Von den Grünen, Krawatten und der FDP
Von Johannes Näumann
Kommt es, oder kommt es nicht ins parlamentarische Verfahren? Diese Frage beschäftigte das politische Berlin bereits den ganzen Mai, bis klar war: Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wird vorerst nicht an den Bundestag überwiesen. Zu groß die Differenzen zwischen FDP und Grünen. Selten gab es ein größeres Kommunikationsdesaster, für das die Grünen in Bremen bereits abgestraft wurden und sich die Co-Vorsitzende Ricarda Lang im DLF ungewohnt kritischen Fragen stellen mussten.
Keine Frage: Die Intention des Gesetzes ist richtig. Der Gebäudesektor stößt nach wie vor viel zu viel CO2 aus, immerhin sind es 30 Prozent der Gesamtemissionen. Aber gut gemeint reicht eben nicht, das Gesetz dürfte so nie in Kraft treten. „Knapp daneben ist auch vorbei“, könnte man sagen – es wäre nicht passiert, hätte man vorher bereits die entsprechenden Experten befragt. Dann wäre sehr schnell klar gewesen, dass man ein Gebäudeenergiegesetz nicht isoliert von der Kommunalen Wärmeplanung betrachten darf, die Fristen viel zur kurz sind, dass es außer Wärmepumpen noch weitere CO2-freie Möglichkeiten gibt, dass die Altersgrenze von 80 Jahren für betroffene Hausbesitzer völlig willkürlich ist, dass die finanziellen Belastungen noch nicht klar sind, und dass der Emissionshandel im Gebäudesektor eine bessere Alternative hätte sein können.
Aber wenn man sich als Vertreter eines Industrieunternehmens oder Industrieverbandes um einen Gesprächstermin im politischen Berlin bemüht, gilt eine Faustregel: je weiter links, um so schwieriger ist das Unterfangen. In der Tat ist die Skepsis bis weit in die Grünen hinein gegenüber „den Lobbyisten“ groß. Die Folge: Gesetze werden im stillen Kämmerlein, meist mit Hilfe von parteinahen Thinktanks, abseits der (Lebens-)Realität verfasst. Dabei haben die Grünen dieses Problem eigentlich erkannt: Ende April gründeten sie eine parteinahe „Wirtschaftsvereinigung“ nach dem Vorbild des CDU-Wirtschaftsrates.
Der Imageschaden für die Partei, die einst antrat, um alles besser zu machen, ist gewaltig. Neulich fand ich im Internet einen der üblichen populistischen Posts, mit denen momentan gegen die Bundesregierung geschossen wird. Der Vorschlag lautete, man möge doch das Wahlrecht an die Abgabe einer Steuererklärung koppeln. Dann, so die schlichte Schlussfolgerung, hätte sich das „Problem mit den Grünen“ gelöst, da diese ja „nicht arbeiten“ und demnach auch keine Steuern zahlten.
Natürlich ist dieser gehässige Vorschlag so absurd wie dumm. Denn abgesehen davon, dass der Verfasser anscheinend einen Basiskurs über das Grundgesetz bräuchte, ist bereits die zugrundeliegende Behauptung falsch: Gefragt nach ihrer wirtschaftlichen Situation liegen die Wählerinnen und Wähler von FDP und Grünen gleichauf an der Spitze, vor der Wählerschaft von Union und SPD – und weit vor den Linken oder der AfD. Das ergab eine Analyse von Infratest dimap nach der letzten Bundestagswahl. Es liegt daher nahe, dass das Finanzamt in Berlin Prenzlauer Berg sehr gute Steuereinnahmen verzeichnet und die Grünen eine völlig normale bürgerliche Partei geworden sind.
„Die Folge: Gesetze werden im stillen Kämmerlein, meist mit Hilfe von parteinahen Thinktanks, abseits der (Lebens-)Realität verfasst.“
So normal, dass sie es selbst manchmal nicht wahrhaben wollen. Die Grünen vertreten eine gut betuchte Klientel, machen Fehler und werden dafür von Wählern und Medien abgestraft. Man kann Sie mögen und wählen, wie andere Parteien auch, muss man aber nicht. Man kann ihre Politik und ihren staatsfixierten Ansatz auch falsch finden. Die Welt geht dennoch nicht unter – zumindest nicht schneller oder langsamer. Der Rest sind reine Stilfragen.
A propos Stilfragen. In Berlin-Mitte, dort, wo die Ministerien, der Bundestag und die Lobbyisten in hässlichen Bürogebäuden residieren und nachts die Bürgersteige hochgeklappt sind, sieht man sie wieder: die Krawatte! Robert Habeck trägt sie, Rolf Mützenich auch, Christian Lindner sowieso. Ihr Niedergang begann vor etwa 15 Jahren, als die ersten CEOs großer Konzerne lässig „oben ohne“ zu Empfängen mit der Bundeskanzlerin erschienen. Wenig später kamen noch die langen Holzfäller-Bärte hinzu, Berlin versank unter einer Hipster-Blase.
Seitdem verstaubten die teuren italienischen Schlipse in den Kleiderschränken, wer sie noch trug war entweder sehr konservativ oder Jurist, oder beides. Nun erwacht der gut gekleidete Gentleman wieder zu neuer Blüte, tadellos rasiert im klassischen Anzug. Sneakers und Jeans zum Sakko verschwinden langsam aus dem Stadtbild des Regierungsviertels. Sollte die Ampel scheitern, dann wenigstens mit Stil.
Ob die Koalition durchhält, scheint zumindest fraglich. Um das Gebäudeenergiegesetz wie vorgesehen zügig umzusetzen, will es Robert Habeck noch vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen. Dafür bleiben nur noch drei Sitzungswochen für Ausschussarbeit, öffentliche Anhörung(en) und drei Lesungen im Plenum – und anschließend die zweite Runde im Bundesrat. Angesichts der fundamentalen Differenzen zwischen FDP und Grünen ist das ein sportliches Unterfangen. Zumal den Abgeordneten aller Parteien das Strucksche Gesetz heilig ist: „Kein Gesetz verlässt den Bundestag so wie es hineinkommt.“ Die FDP schlug bereits eine Verschiebung der parlamentarischen Beratung auf Oktober vor. Dann wird in Bayern und Hessen gewählt.
„Sneakers und Jeans zum Sakko verschwinden langsam aus dem Stadtbild des Regierungsviertels. Sollte die Ampel scheitern, dann wenigstens mit Stil.“
Und die nächsten dunklen Wolken ziehen sowieso am Horizont auf. Der eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbarte „Industriestrompreis“ sorgt hinter und mittlerweile auch vor den Kulissen für Ärger innerhalb der Ampel. Hier macht die SPD im Schulterschluss mit den Gewerkschaften Druck. Für Lars Klingbeil etwa „ist der Industriestrompreis von zentraler Wichtigkeit für die Frage, ob Deutschland in den nächsten 10 Jahren wirtschaftlich stark bleibt.“
Natürlich ist das den Umwelt- und Klimaschützern nur schwer zu vermitteln. Wirtschaftsminister Habeck wendete daher einen beliebten Trick an: Er erfand – nach dem Motto „alter Wein in neuen Schläuchen“ – kurzerhand einen neuen Begriff. Zunächst benannte er den „Industriestrompreis“ in „Brückenstrompreis“ um, nun spricht er vom „Transformationsstrompreis“. Seitdem hört man von grüner Kritik an diesem Projekt nichts mehr.
Und wer steht mal wieder auf der Bremse? Richtig, die FDP. Auch sie möchte möglichst erfolgreich die kommenden Landtagswahlen bestehen. Ihre Strategie: Zeigen wo der liberale Hammer hängt und notfalls auch mal für Schlagzeilen sorgen. Ihnen geht es hier ums Prinzip. Allein der Gedanke, man könne mithilfe staatlicher Transferzahlungen in die Preisbildung des Marktes eingreifen, führt bei einem echten Liberalen zu Angstschweiß. Stattdessen schlägt die FDP vor, den ordnungspolitischen Rahmen so zu gestalten, dass der Strom insgesamt günstiger wird. Etwa durch eine deutliche Reduzierung der vielen Gebühren und einer Senkung der Stromsteuer.
So vernünftig das ist und ihr möglicherweise auch Wählerstimmen bringt, am Ende könnte die FDP die Verliererin sein. Nämlich dann, wenn sie wie beim Gebäudeenergiegesetz auch beim Industriestrompreis wieder als Blockiererin dasteht und gar für das Scheitern der Koalition verantwortlich gemacht wird.
Wenn die Ressorts sich im Kabinett streiten, hat der Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz. Dahinter verbirgt sich das vornehme Recht, dass er notfalls mit der Faust auf den Tisch hauen, laut „Basta“ sagen und den „Schröder machen“ darf.
Der Bundeskanzler heißt übrigens Scholz. Olaf Scholz. Das letzte Mal als ich ihn sah, trug er keine Krawatte.