Politik im Quadrat – Nr. 5 – Oktober 2022

Von fleischessenden Männern und einem Doppelwumms
Energiepolitik in Krisenzeiten

Von Johannes Näumann

Mit einer ungewöhnlichen Forderung meldete sich kürzlich die Tierschutzorganisation PETA zu Wort. Da „Fleischesser einen zu hohen CO2-Abdruck“ hinterließen, forderten die radikalen Veganer ein „Sex-Verbot für fleischessende Männer“. Die Logik dahinter: Weniger Sex, weniger Kinder, weniger Treibhausgase – pro Kind immerhin jährlich 58,6 Tonnen CO2-Äquivalente. Um die Einhaltung der zölibatären Lebensweise ihrer fleischeslustigen Partner sollten sich die Frauen kümmern und in einen „Sex-Streik“ treten, so PETA. Ob sich eine vegane Lebensweise am Ende doch auf den Hirnstoffwechsel auswirkt? 

An guten Ratschlägen aus der Politik zum Energiesparen hat es in letzter Zeit nicht gemangelt. So wurde von Berlins Umweltsenatorin Bettina Jarrasch (B90/Die Grünen) „Katzenwäsche“ empfohlen. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (B90/Die Grünen) gewährte uns intime Einblicke in sein Badezimmer. Er riet zum Waschlappen. Und Altbundestagspräsident Wolfgang Schäuble empfahl kürzlich bei Heizungsausfällen zum Tragen mehrerer Pullover.

Dass solche wohlmeinenden Ratschläge aus dem Munde gutsituierter Berufspolitiker bei der breiten Bevölkerung und den notleidenden Unternehmen weniger gut ankommen, wissen vor allem die Kommunen. Sie rüsten sich bereits für den Fall der Fälle. Mit der Planung von Wärmestuben und Katastrophenplänen bereiten sie einen drohenden Blackout vor. Und Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) erklärte am 23.09.2022, sie könne sich ein „kurzzeitiges Abschalten der Stromversorgung in einzelnen Stadtteilen als Notmaßnahme in der Energiekrise“ vorstellen. Das Allerwichtigste sei der Schutz der Infrastruktur der Stromversorgung vor einer Überlastung.“

Indessen hält die Bundesregierung unverdrossen an ihrer Aussage fest, Deutschland habe kein Problem mit der Stromversorgung. Dies geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion zum Fortschrittsbericht Energiesicherheit hervor. Demnach habe der zweite Stresstest gezeigt, dass u. a. durch die Verfügbarkeit von Kraftwerken in den europäischen Nachbarstaaten, insbesondere Kern- sowie Wasserkraft in Frankreich, Kohle in Deutschland, und die Versorgung der systemrelevanten Gaskraftwerke mit Brennstoff, die Stromversorgung hierzulande gesichert sei. Zudem sei die Stromangebotsausweitungsverordnung zunächst bis zum 30. April 2023 verlängert worden, damit die Kohle- und Mineralölanlagen über den kommenden Winter an den Strommarkt zurückkehren, so die Bundesregierung..

„Katzenwäsche und Wachlappen – an guten Ratschlägen aus der Politik zum Energiesparen hat es in letzter Zeit nicht gemangelt.“

Und dann kam der Doppelwumms. Nach dem wochenlangen Gezerre um die Gaspreisumlage und der Verstaatlichung von Uniper verkündete das Dreigestirn aus Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (B90/Die Grünen) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am 29.09.2022 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die Gaspreisbremse. Zur Finanzierung sei ein Paket von 200 Milliarden Euro vorgesehen, das dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) entnommen werden soll. Es gehe darum, „dass die Preise schnell sinken“, so Scholz. Mit dem „Abwehrschirm“ solle verhindert werden, dass die Versorger die erhöhten Gaspreise an die Verbraucher weiterreichen. Der Sonderhaushalt WSF wurde während der Corona-Pandemie geschaffen und wirkt sich deswegen nicht auf die Schuldenbremse aus. Für die Umsetzung erarbeitet nun die Gaspreiskommission konkrete Vorschläge. 

Doch selbst wenn man nicht auf Gas angewiesen ist, etwa weil die Prozesse im Unternehmen vollständig elektrifiziert sind, stehen unsichere Zeiten bevor. Schuld daran ist die „Merit-Order“. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein Prinzip unseres (europäischen) Strommarktdesigns, das uns jetzt gewaltig auf die Füße fällt. Der Strompreis orientiert sich nämlich immer an der teuersten Form der Energieerzeugung. Daher hat sich durch den stark gestiegenen Gaspreis auch der gesamte Strompreis vervielfacht. So lag der Strompreis am 22.08. an der Leipziger EEX-Börse bei rund 700 Euro pro MWh – im August des Vorjahres waren es 23 Euro. 

Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte deshalb vor dem Deutschen Bundestag während der Haushaltsdebatte am 08.09.2022 angekündigt, das Strommarktdesign ändern zu wollen und den Strom- vom Gaspreis zu entkoppeln. Bereits wenige Tage später ruderte sein Staatssekretär Patrick Graichen aber wieder zurück: Man plane derzeit keinen „direkten Eingriff in die Merit-Order am Großhandelsmarkt“. Vielmehr arbeite man „mit Hochdruck“ daran, die Strompreise für Endverbraucher durch das am 04.09.2022 beschlossene dritte Entlastungspaket zu dämpfen. „Ziel ist, dass die Endverbrauchenden stärker davon profitieren, dass Stromerzeuger, die nicht den Preis am Strommarkt setzen, den Strom viel günstiger erzeugen als die Gaskraftwerke“, so Graichen auf eine Anfrage von Anne König MdB (CDU).

„Doch selbst wenn man nicht auf Gas angewiesen ist, etwa weil die Prozesse im Unternehmen vollständig elektrifiziert sind, stehen unsichere Zeiten bevor.“

Vergangene Woche war ich mit Unternehmern zusammen, die essentiell wichtige Systeme für die künftige Sicherung der Energieversorgung herstellen. Die Stimmung war besorgt. Was passiert eigentlich, sollte es tatsächlich zu Strom- oder Gassperren kommen? Welche Branchen werden dann noch mit Energie versorgt? Was gilt als „systemrelevant“? Angesichts der komplexen Wertschöpfungsketten dürfte diese Frage kaum zu beantworten sein. 

Und gerade jetzt sollte die Wirtschaft eigentlich brummen, wollte die Ampel-Koalition ihre ambitionierten Ziele umsetzen. Der rasche Umstieg auf die Erneuerbaren kann nur funktionieren, wenn jetzt in die Anlagen und Netze investiert wird. Stattdessen fehlt es an Energie, Rohstoffen und qualifizierten Arbeitskräften. Kurz: an allem! Laut IFO-Institut haben fast 17 Prozent der Bauunternehmen in Deutschland bereits laufende Aufträge wieder storniert. Der Grund: stark steigende Material- und Energiepreise, aber auch die höheren Kreditzinsen. 

Klar ist: Die energiepolitischen Ziele, mit denen die Bundesregierung angetreten war, wurden durch Putins Angriffskrieg sturmreif geschossen. Der Koalitionsvertrag sah ursprünglich für die nötige Sicherung der Grundlast den Einsatz und sogar den Neubau „modernster“ Gaskraftwerke vor, die perspektivisch auf Wasserstoff umgestellt werden sollten. Seit dem 24. Februar klingen solche Konzepte wie Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. 

Doch die Unternehmen, aber auch die Gesellschaft insgesamt, brauchen Perspektiven und Planungssicherheit weit über den Krieg hinaus – anstatt kleinteilige Diskussionen über Laufzeitverlängerungen und Subventionshöhen. Es braucht eine kluge Strategie, die alle Formen der Energieerzeugung einschließt, und vor allem auch für Unternehmen und Märkte eine sichere Perspektive schafft. Hier ist die Bundesregierung dringend gefragt. Sonst stehen uns allen – nicht nur uns fleischessenden Männern – noch härtere Zeiten bevor. 

Johannes Näumann

arbeitet in Berlin als Senior Advisor für Public Affairs. Er berät Unternehmen, Verbände und Organisationen in Fragen der politischen Kommunikation. Nach beruflichen Stationen beim Radio, dem Deutschen Bundestag und der Leitung der Kommunikationsabteilung eines Unternehmensverbandes machte er sich 2017 selbstständig. Neben seiner Leidenschaft für politische Analysen spielt er Cello und interessiert sich für italienische Opern.

Kontakt: www.linkedin.com/in/johannes-naeumann

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